Bye bye Alan und alles Gute

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  1. Avatar von Dany1
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    Standard Bye bye Alan und alles Gute

    Morgen darf Alan endlich in Rente gehen, wünschen wir ihm alles Gute


    Alan Greenspan Superstar

    VON NICOLA LIEBERT

    Man möchte glauben, es mit einem Musiker zu tun zu haben. Virtuos beherrsche Alan Greenspan die Klaviatur der Geldpolitik, heißt es immer wieder in Artikeln über ihn, virtuos dirigiere er das Geschehen an den Börsen. Für Bob Woodward, den Starreporter der Washington Post, ist er nur der "Maestro" - auch sein Buch über den Chefbanker heißt so. Der Eindruck ist nicht ganz verkehrt. Tatsächlich wollte Greenspan zunächst Jazzmusiker werden. Er spielt selbst Klarinette und Saxofon - virtuos, versteht sich. "Ich habe aber bald erkannt, dass ich im Musikgeschäft nur begrenzt weit kommen würde", so Greenspan über Greenspan. Als Ökonom brachte er es weiter. Seit 19 Jahren ist er Vorsitzender des Gouverneursrats des Federal Reserve System, kurz Fed, und hat heute als US-Notenbankchef seinen letzten Arbeitstag, am 1. Februar übernimmt Ben Bernanke das Amt.

    Greenspans Wirkungsfeld mag in Washington sein, aber er ist ein waschechter New Yorker. Hier wurde er 1926 geboren. Hier studierte er und brachte es relativ spät, 1977, zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Da hatte er schon mit einer Beratungsfirma ein Vermögen gemacht und dem republikanischen Präsidenten Gerald Ford als oberster Wirtschaftsberater gedient.

    Aber die Darstellung seiner Karriere beschreibt das Phänomen Greenspan noch nicht mal ansatzweise. Dazu gehört wenigstens noch seine Erscheinung. Die erinnert am ehesten an eine Schildkröte, vornüber gebeugt mit vorgerecktem, weitgehend kahlem Kopf. Mit großer Nase und noch größeren Brillengläsern, über deren dunklen Rahmen er öfters fragend seine Augenbrauen hochzieht, so als warte er geduldig, bis seine Zuhörer mit dem Verstehen nachkommen. Dazu noch die hohe Stirn, die er in grüblerische Falten legen kann, und ein Mund, der mit seinem breiten Grinsen mitunter Julia Roberts Konkurrenz macht.

    Aber damit ist immer noch nicht geklärt, was Greenspan so populär macht. Warum finden ihn sogar Leute toll, bei denen bebrillte Schildkröten nicht unbedingt als Schönheitsideal gelten und die ansonsten von Geldpolitik keine Ahnung haben? Sicher, in den fast zwei Jahrzehnten, in denen er der Fed vorstand, war die Inflationsrate deutlich niedriger als unter seinen Vorgängern. Aber das haben die meisten anderen Notenbanken der Welt auch geschafft, ohne dass deren Chefs gleich Kultstatus erhielten. Schon gar nicht Fan-Websites. Alan Greenspan schon.

    Nur ihm - und nicht etwa der Regierung - trauten viele Amerikaner zu, die Wirtschaft und die Börse zu retten, als es dort 2001 nach dem Ende der New Economy so richtig crashte. "Um Gottes Willen, tun Sie etwas für die Wirtschaft. Wir verlieren viel Geld - handeln Sie jetzt! Danke!", schrieb ihm 2002 ein verzweifelter Anleger. Greenspan handelte. Anders als seine europäischen Kollegen senkte er den Leitzins drastisch auf nur mehr ein Prozent. Wirtschaft und Börsen der USA gewannen schnell wieder an Fahrt. Auch das anders als in Europa. Kritiker monieren, er habe durch das billige Geld, das die Zentralbank zur Verfügung stellte, eine neue Blase ausgelöst: einen unhaltbaren Immobilienboom gepaart mit einer verrückten Staatsverschuldung. Die meisten Amerikaner sehen das anders. Verständlicherweise ziehen sie Wachstum und neue Arbeitsplätze einer stabilen, aber in der Rezession stecken gebliebenen Wirtschaft vor. "Sie sind eine von wenigen Persönlichkeiten, die in die Ruhmeshalle gehören", schreibt ein anderer Fan, "neben John F. Kennedy, Margaret Thatcher, Napoleon Bonaparte, Jesus Christus und Alexander dem Großen."

    Der stets bescheiden, fast schüchtern auftretende Greenspan gilt längst als zweitwichtigster Mann der USA nach dem Präsidenten. Der Boom der Neunziger Jahre, der längste in der Geschichte der USA, wird ihm zugeschrieben. Vor allem konservative Amerikaner glauben nicht, dass Bill Clinton dazu viel beigetragen hat. Greenspan ließ die Wirtschaft weiter wachsen, würgte die Konjunktur nicht aus lauter Inflationsangst durch immer höhere Zinsen ab. Dass er die Aktienblase Ende der Neunziger und vor allem den darauf folgenden Crash nicht verhinderte, beschädigte seinen Ruf nicht nachhaltig, Wirtschaft und Börsen waren eben bald wieder auf Wachstumskurs.

    Seine erste Krise hatte Greenspan nur zwei Monate nach seinem Antritt bei der Fed zu meistern. Am 19. Oktober 1987 setzte ein Börsencrash der längsten Hausse der Nachkriegszeit ein Ende. Greenspan bestand die Prüfung. Ein halbes Jahr später hatten die Aktienkurse wieder den Stand von vor dem Schwarzen Montag erreicht. Von da an vertraute man ihm, sein Ruf als geldpolitisches Genie festigte sich. Erfolgreich schützte er die US-Wirtschaft vor diversen wirtschaftlichen Katastrophen, der Finanzkrise in Mexiko 1994 etwa, der Asienkrise 1997 oder dem Kollaps des LTCM-Hedge-Fonds 1998. Die Amerikaner fühlten sich sicher unter Greenspan.

    In seiner Amtszeit wuchs die Wirtschaft zumeist kräftig, die Arbeitslosigkeit sank. Doch die Inflation, die man bis dahin als zwangsläufige Begleiterscheinung hoher Wachstumsraten betrachtete, die gab es praktisch nicht mehr. Gemeistert hat er das mit fast hundert kleinen Drehungen an der Zinsschraube zum rechten Zeitpunkt - aber vor allem lenkt er die Marktteilnehmer mit seinen Äußerungen, die direkt vom Orakel von Delphi zu kommen scheinen, mindestens so weise klingen, aber noch viel kryptischer sind. Die Finanzwelt hängt an seinen Lippen. Allein wie er etwas sagt, kann Märkte bewegen.

    Orakelte die Pythia von Delphi über einer Erdspalte sitzend, aus der Gase entströmten, so sitzt Alan Greenspan angeblich am liebsten morgens in der Badewanne, um sich seine Statements auszudenken. Die klingen meist so erhellend wie dieser Satz, den er im vergangenen November vor mexikanischen Notenbankern sprach: "Was immer der Auslöser der Anpassung sein wird, die Entwicklung hin zu einem Ausgleich der Leistungsbilanz wird, zusätzlich zu der Tatsache, dass sie durch die Umschichtung der externen Portfolios ausländischer Investoren angetrieben wird, wahrscheinlich Handlungen von US-Bürgern widerspiegeln, um inländische Ungleichgewichte anzugehen." Wie bitte?

    Doch Greenspan klingt nur wie ein zerstreuter Professor. In Wirklichkeit hat die in den USA als "Greenspeak" bezeichnete Wirrheit genauso wie sein einschläfernd monotoner Redestil Methode. So lange seine Prognosen und Urteile im Vagen bleiben, resultieren daraus keine Panikreaktionen. Spätestens 1996 hat er das gelernt, als er während einer langen Dinnerrede im Zusammenhang mit dem gerade hoch kochenden Dot-Com-Börsenboom von "irrationaler Überschwänglichkeit" sprach. Tags darauf brachen die Börsen in aller Welt um mehrere Prozent ein. Greenspan schien ehrlich erschrocken über seine eigene Macht. Nie wieder wurde er so deutlich. "Wenn ich mich besonders klar auszudrücken scheine", hat er einst gesagt, "dann haben Sie das, was ich sagte, wahrscheinlich missverstanden."

    Gern wird kolportiert, dass seine langjährige Freundin Andrea Mitchell erst nach wiederholtem Anlauf Greenspans Heiratsantrag als solchen verstanden hat. 1997 heirateten der Notenbanker und die fast zwanzig Jahre jüngere TV-Korrespondentin.

    So undurchsichtig seine einzelnen Statements sind, so klar ist Alan Greenspans politische Orientierung: rechts. 1952 lernte er die Schriftstellerin und Sozialphilosophin Ayn Rand kennen. Deren neoliberale Theorien über die Segnungen des Laisser-faire-Kapitalismus und des rationalen Egoismus beeinflussten ihn maßgeblich. Dem Staat hat Rand nur eine Rolle als Nachtwächter zugedacht.

    Zwar hat Greenspan immer ethische Werte hochgehalten: Gewinnstreben ja, aber nicht auf Kosten anderer. Oder in seinen Worten: "Materieller Erfolg ist viel befriedigender, wenn er ohne die Ausbeutung anderer erzielt wurde." Dennoch ist es angesichts seiner eher neoliberalen Überzeugungen kein Wunder, dass Greenspan die republikanischen Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush bei ihren radikalen Steuersenkungsprogrammen und beim damit einhergehenden Abbau staatlicher Leistungen unterstützte. Trotz Wirtschaftsboom - in der Ära Greenspan sind viele US-Amerikaner ärmer geworden. Nachfolger Ben Bernanke muss wohl bald seine erste Feuerprobe bestehen, denn die Verschuldung des US-Staates wie auch der Privathaushalte ist ins Krisenhafte gestiegen.

    Aber bevor Bernanke das Ruder übernimmt, leitet Alan Greenspan heute noch einmal die Sitzung des geldpolitischen Rats der Fed. Allen Prognosen nach wird er ein letztes Mal die Leitzinsen erhöhen. Nach einer Abschiedsfeier in seinem Büro "ist er dann auf sich gestellt", sagt ein Sprecher der Fed mit etwas Mitleid in der Stimme.

    Und was macht er so auf sich gestellt? Immerhin ist er mit seinen 79 Jahren im besten Rentneralter. Ein Buch will er angeblich schreiben, weiter monotone Reden halten. Aber das reicht ihm nicht. Er wird auch eine Beratungsfirma namens Greenspan Associates gründen - seine alte Firma hatte er aufgelöst, als er bei der Fed anfing. Vielleicht dient Greenspan die Reise in die eigene Vergangenheit ja als Verjüngungskur.

  2. Avatar von cybercrash
    cybercrash ist offline

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    Standard Grünspargel

    Irgendwie wirkt er ja auch ein wenig clownesk, hat er nicht all die schönen Ballone aufblubbern lassen, Asien-Boom, Highblech-Ballönchen, Bilanzskandale und dann soll er sie auch zum Platzen gebracht haben?
    Was hat er selber gemerkt? Welche Ballone selber platzen lassen? Erzählen da nicht die Hedgefonds-Banken originelle Märchen, um von den wirklichen Drahtziehern abzulenken? Einige sind wohl auf der Strecke geblieben, man sagt dann, das seien die Leichtgläubigen und die Dummen gewesen. Und so bleiben jeweils nur die "Schlauen" übrig, eine alte schinesische Weisheit. Wenns denn stimmt?

  3. Avatar von Lancelot
    Lancelot

    Standard

    Verstehe nicht alles was Cybercrash schreibt, aber ich habe auch einen gewissen Zweifel, ob der Greenspan wirklich alles unter Kontrolle hatte.

    Er hat zwar auf Krisen gut reagiert. Den Kollaps des LTCM-Hedge-Fonds in 1998 konnte er kaum ignorieren.

    Er hat aber nichts getan, um die Börsenblasen zu stoppen. Nachher kam er mit dem Verteidigungsspruch, er sei nicht verantwortlich für eine Blase, nur für die Milderung nachdem sie geplatzt ist. Schöner Trost für die Kleinanleger und ihre Pensionskassen!

    Sorry, ich kaufe das nicht!

    Hoffentlich gibt es nicht noch eine Immobilienblase, die platzen muss.

    Nicht zu sprechen vom Dollar.

    "Another fine mess you've gotten me into!" (Oliver Hardy)

    Lancelot

  4. Avatar von peitschi
    peitschi

    Standard

    ja bei den immo's und der währung sind sie wohl momentan am verwundbarstem. je nachdem wie sich helikopter-ben über die zukünftige entwicklung äussert, kann der dollar ziemlich rasch das tief irgendwo bei 1.12 testen. darfst gar nicht daran denken, was passiert, wenn dieses tief erfolgreich durchstochen wird.

    schlimm ist vor allem, dass helikopter-ben keine klare meinung vertritt. kaum hat er bemängelt, dass die offiziellen inflationsraten zu tief sind, sieht er schon wieder deflations-gespenster.

    aber bald wissen wir ja mehr

  5. Avatar von Lancelot
    Lancelot

    Standard

    Peitschi schreibt:
    "kaum hat er bemängelt, dass die offiziellen inflationsraten zu tief sind, sieht er schon wieder deflations-gespenster."

    Eben, im Häusermarkt und im Anleihemarkt sind die Preise auf hohem Niveau. Ich sehe dort auch Deflations-Gespenster!

    Lancelot

  6. Avatar von mfabian
    mfabian

    Standard

    Hier ein etwas kritischeres aber immer noch positives Resumee der Greenspan Aera:



    DIE ZEIT 26.01.2006 Nr.5
    Goodbye, Mister Dollar

    Die Ära Greenspan geht zu Ende. War der Zentralbanker ein Genie oder hat er die Vereinigten Staaten an den Abgrund geführt? Von Thomas Fischermann und Robert von Heusinger

    TheBuck Starts Here«, hat jemand auf ein Schild gemalt und dieses auf die gewaltige Druckerpresse gestellt. Der Buck, wie sie in Amerika umgangssprachlich den Dollar nennen, entsteht in den schwer geschützten Betongewölben des U. S. Bureau of Engraving and Printing. In Sichtweite des Capitols und des Weißen Hauses, arbeiten Drucker und Maschineningenieure in Overalls und Muskelshirts. Es rumpelt, es riecht nach Druckfarbe, an einigen Stellen des Fußbodens haben sich grüne Farbpfützen gebildet. Fertige Greenbacks, wie der Dollar wegen der grünen Farbe auch genannt wird, sind in der Ecke auf Holzpaletten gestapelt. Dieses Mal sind es Hunderter.

    669 Millionen solcher Hundert-Dollar-Noten hat das Bureau of Engraving im vergangenen Jahr gedruckt. Und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Denn die Wirtschaft der Vereinigten Staaten wächst und wächst. Nur zwei kleine Rezessionen hat das Land in den vergangenen 18 Jahren erlebt. 18 Jahre, in denen immer derselbe Mann am wichtigsten Kontrollpunkt der Wirtschaft saß. Alan Greenspan war der umstrittenste und verehrteste Notenbankchef, den Amerika je hatte. Solange Alan Greenspan über das Wohl der amerikanischen Wirtschaft wachte, war das Vertrauen fast grenzenlos. Sie nannten ihn Maestro, Mister Dollar, Master of the Universe.Unter Greenspan konsumierte Amerika, was das Zeug hielt, kaufte Häuser, Autos, belastete Kreditkarten bis zum Limit. Wider die Vorhersagen blieb die amerikanische Wirtschaft in Schwung und hielt den Rest der Weltkonjunktur über Wasser. In Greenspan We Trust, fasste das Magazin Fortune einmal die Stimmung zusammen.

    Am nächsten Dienstag endet die Ära Greenspan. Auf seiner letzten Sitzung wird der 79-Jährige noch einmal die Zinsen erhöhen. Es wird seine neunundneunzigste Zinsänderung seit dem Amtsantritt im August 1987 sein. Dabei steht das endgültige Urteil über Alan Greenspan längst noch nicht fest. Wie kein zweiter galt er als ein intimer Kenner des Kapitalismus, des Zusammenspiels von Psychologie und Fakten, von Finanzmärkten und Realwirtschaft. 18 Jahre lang hat er vorgeführt, dass man Krisen beherrschen kann, dass nicht jeder Boom in eine schmerzhafte Rezession münden muss, die viele Menschen arbeitslos und arm macht. Wie ein Fels in der Brandung hat Greenspan an seiner Politik festgehalten, manchmal gegen die ganze Wissenschaft und alle seine Kollegen im Board der US-Notenbank Fed. Aber erst in zwei, drei oder fünf Jahren wird sich zeigen, ob die große Wette seiner Amtszeit aufgeht Greenspans gewagtes Pokerspiel, das Amerika und die Welt vor einer Wiederholung der Großen Depression aus den dreißiger Jahren bewahren sollte.

    Wird er als »größter Zentralbankier, der je gelebt hat«, in die Geschichte eingehen, wie es der führende Geldtheoretiker Alan Blinder von der Universität Princeton kürzlich schrieb? Oder wird er als der König der spekulativen Blasen in Erinnerung bleiben, als der Mann, der die Weltwirtschaft in eine große neue Krise führte, wie seine Kritiker unken?

    Seine Amtszeit begann 1987 kurz vor dem Schwarzen Montag

    Alan Greenspan weiß genau, dass Finanzmärkte ohne Warnung zusammenbrechen können, dass Türme von Aktien, Anleihepapieren und Geldscheinen von einem Moment auf den nächsten einen Großteil ihres Wertes verlieren können. Als die Finanzmärkte am 19. Oktober 1987 den heute berüchtigten Schwarzen Montag erlebten, war Greenspan als Notenbankchef in Washington noch ein Neuling. Es wurde seine Feuertaufe. Alle schauten sie damals skeptisch auf ihn: Er hatte keine Erfahrung im Bankwesen gesammelt, keine wegweisenden akademischen Schriften zur Geldtheorie verfasst. Greenspan war ein Prognostiker gewesen, aber kein besonders treffsicherer. Ein enger Berater der konservativen Präsidenten Nixon, Ford und Reagan, das war er gewesen.


    Doch als nun plötzlich ohne Vorwarnung der amerikanische Aktienmarkt den größten Tagesverlust aller Zeiten einstecken musste, als Händler über das Ende der Welt jammerten und Faustkämpfe auf dem Parkett ausbrachen, zeigte Greenspan die richtigen Reflexe. Um einen nachhaltigen Crash wie im Jahr 1929 zu vermeiden, versprach er der nervösen Finanzwelt nicht nur billiges Geld, um Brokerfirmen und Unternehmen durch Kredite am Leben zu halten. Er drängte auch persönlich Bankiers in aller Welt, diese Kredite wirklich zu gewähren. Die Aktienpreise stabilisierten sich binnen weniger Wochen, das wichtigste Börsenbarometer, der Dow-Jones-Index, beendete das Jahr im Plus. Von Greenspan wurde nun erzählt, wie er während der Krise fast geisterhaft ruhig geblieben sei und dass er in der Nacht nach dem Crash gesunde fünf Stunden geschlafen habe. »Ich glaube nicht, dass Alan jemals nervös wird«, sagte James Baker, einstmals Finanzminister der USA.

    Es war ein Meisterstück, das Greenspan noch häufiger vorführen sollte. Seine Amtszeit war reich an Krisen: Ende der Achtziger die seit Jahrzehnten schwerste Bankenkrise Amerikas, Mitte der Neunziger die Währungskrisen in Lateinamerika, Asien und Russland, der Zusammenbruch des großen Hedge Fonds LTCM, zu Beginn des Jahrtausends das Platzen der Blase der Technologieaktien und die Terroranschläge vom 11. September. Immer wieder wusste Greenspan die Krisen einzudämmen. Am Ende konnten winzige Andeutungen in seiner Wortwahl, seiner Mimik, gar die Dicke seiner Brieftasche die Märkte beruhigen. Er wurde zu jenem Risikomanager, als den er selbst sich sah, zu einem Notenbanker, der die Wirtschaft nicht aus der Angst vor solchen Krisen ans Gängelband nimmt. Er nutzte die Notenbankzinsen nicht nur, um die Inflation zu stabilisieren, sondern auch die Finanzmärkte.

    »Er hat schmerzhafte Anpassungen nie vollzogen und immer gehofft, dass sich die Probleme später von selbst lösen«, sagt Jan Hatzius, der US-Chefvolkswirt von Goldman Sachs. Ob es der »irrationale Überschwang« an den Aktienmärkten der späten neunziger Jahre war, die bedrohlich steigenden Hauspreise in vielen amerikanischen Großstädten oder die Schuldenmacherei des George W. Bush: Warnend im Voraus die Zinsen zu erhöhen war seine Sache nicht. »Er hätte auch kurzfristig ein schwächeres Wachstum samt höherer Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen können, um langfristig vielleicht besser dazustehen«, sagt Hatzius, wobei er das Wort vielleicht besonders betont. Immer wieder ging Greenspan die gleiche Wette ein: das höhere Wachstum zuzulassen und später mit den Problemen umzugehen sofern sie sich nicht durch ebenjenes Wachstum ganz von allein lösten.

    Der Glaube an die Selbstheilungskräfte der Märkte brachte Greenspan in Washington eine weitere Rolle ein, die über die eines Geldpolitikers ungewöhnlich weit hinausging. Greenspan nutzte seine Position, um Ziele außerhalb seiner eng gefassten Zuständigkeit zu erreichen. »Wenigen ist klar, dass Greenspan zum Beispiel der einflussreichste Wirtschaftsberater Ronald Reagans war«, sagt Ravi Batra, ein Ökonom an der Southern Methodist University in Dallas und Autor einer kritischen Greenspan-Biografie. Tatsächlich galt Greenspan vielen Washingtoner Insidern seit je als republikanischer Scharfmacher, als Freund des sozialen Kahlschlags, als Komplize des Big Business. Schon 1981 war er wesentlich für die Reaganschen Steuersenkungen verantwortlich und noch zwei Jahrzehnte später ließ sich Greenspan von George W. Bush als Fürsprecher radikaler Steuersenkungen einspannen. Jeweils kurz darauf 1983 unter Reagan, 2004 unter Bush warnte Greenspan dann öffentlich vor den Folgen solcher Steuersenkungen, vor Überschuldung, und schlug eine Kürzung der »überbordenden« Kosten in den Sozialkassen vor. Zuletzt stellte er sich hinter die Kürzungs- und Privatisierungspläne, die Bush für das staatliche Rentensystem hegte. »Greenspan will den Armen nehmen und den Reichen geben«, unkten seine Kritiker.

    Der amerikanische Wohlstand ist auf Pump finanziert

    Nun, zum Ende von Greenspans Amtszeit, sehen die Skeptiker eine Volkswirtschaft, in der die Produktionsziffern vorbildlich aussehen, viele ärmere Amerikaner und große Teile der Mittelschichten aber ihre realen Einkommen nicht steigern konnten. Greenspans Fans hingegen sehen eine Wirtschaft, die deutlich schneller gewachsen ist als die anderer Industrieländer, in der die Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte gewahrt ist, in der die Selbstheilungskräfte des Kapitalismus funktionieren und einer wie Greenspan sich auf seine Rolle als »Feuerwehrmann« für Notfälle zurückziehen kann.

    Die Zahl der Kritiker ist gegen Ende der Amtszeit stetig gestiegen. Während sich unter Greenspan der Wohlstand mehrte, wuchs zugleich ein grotesker Berg von Schulden. Auf die Blase am amerikanischen Aktienmarkt in den neunziger Jahren sei nun eine am Immobilienmarkt gefolgt, und irgendwann werde sie platzen, kritisiert zum Beispiel Albert Edwards, globaler Stratege bei der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein. Amerika führe zunehmend mehr Güter ein, als es exportiere; ausländische Notenbanken und Privatinvestoren horteten im Gegenzug Dollars und gäben Amerika Kredit. Der resultierende schuldenfinanzierte Wohlstand in Amerika sei nichts als eine Illusion, warnt Edwards. Es drohe ein Dollarcrash, eine Rezession.

    Greenspan persönlich hat den Schwarzmalern in der jüngsten Zeit gelegentlich in einigen Punkten zugestimmt: dass es »Schaum«, sprich Bläschen am Immobilienmarkt gebe, dass das beispiellos große amerikanische Leistungsbilanzdefizit nicht mehr unermesslich weiterwachsen könne.

    Greenspan folgte keinem Modell und keinen Regeln

    So schrill die Kritik an Greenspan zuletzt geworden ist hatte er überhaupt Alternativen? Die heutigen Ungleichgewichte resultieren zu großen Teilen aus der Niedrigzinsphase der Jahre 2002 bis 2004. Die Leitzinsen, die Greenspan rapide bis auf das Rekordtief von einem Prozent gesenkt hatte, entfachten den jüngsten Kaufrausch und Immobilienboom. Der Kaufrausch verschlechterte von Jahr zu Jahr die Leistungsbilanz, weil er die amerikanischen Verbraucher ansteckte, nicht aber die Verbraucher von Amerikas Handelspartnern. Hätte Greenspan die Zinsen weniger stark senken sollen? »Nein«, sagt Volker Wieland, ein Geldtheoretiker an der Frankfurter Universität. Weniger beherzte Zinssenkungen hätten womöglich zu einer Deflation geführt und damit zu einem Kollaps wie in den dreißiger Jahren. Zu einer Situation, unter der zum Beispiel die japanische Wirtschaft seit gut 15 Jahren leidet.

    Vielleicht begann die Malaise früher, Ende der neunziger Jahre? Hätte Greenspan damals die Zinsen erhöhen sollen, um die Spekulationsblase am Aktienmarkt anzupiksen und die Börse vor dem folgenden, ganz tiefen Sturz zu bewahren? Auch hier antwortet das Gros der Geldökonomen mit einem Nein. Geldpolitiker sollten von Blasen die Finger lassen. Blasen seien selbst für gewiefte Notenbankiers wie Greenspan schwer zu erkennen, kleine Zinsschritte könnten Anlegern und Spekulanten im Überschwang ohnehin kaum die Laune verderben, und so würden Zinssenkungen nichts als zusätzliche Arbeitslosigkeit erzeugen. Zumal Greenspan Mitte der neunziger Jahre vor den meisten Ökonomen der Verdacht gekommen war, dass die neue Internet-Wirtschaft das Produktivitätswachstum erhöht habe und daher zu gleichen Zinssätzen mehr Beschäftigung und weniger Inflation möglich gewesen sei.

    Mit Glück könnten sich all die in den vergangenen zehn Jahren geschaffenen Probleme ganz von selbst in Wohlgefallen auflösen und Greenspans Wetten allesamt aufgehen. Sollte das Wachstum außerhalb Amerikas weiter anziehen und Greenspans Amtsnachfolger Ben Bernanke ein ähnliches Vertrauen erwerben, könnte es um das amerikanische Haushaltsdefizit und die überschuldeten Privathaushalte der USA bald besser stehen. Das problematische amerikanische Leistungsbilanzdefizit ist unter anderem deshalb so groß, weil die Nummer zwei und die Nummer drei der Weltwirtschaft Japan und Deutschland lange Jahre nur kümmerlich gewachsen sind. In beiden regt sich neuerdings die Konjunktur; auch China wird künftig mehr im Rest der Welt einkaufen. Eine aktuelle Analyse der Investmentbank JP Morgan spricht denn auch von einem »Ausbalancieren der Weltwirtschaft«, das derzeit in vollem Gange sei. Trifft dies zu, könnte der amerikanische Verbraucher Zeit zum Pausieren haben, nachdem er mit seinem exzessiven Konsum in den Jahren 2002 und 2003 das Wachstum der Weltwirtschaft fast im Alleingang bestritt. Und die Immobilienblase? Sie kann in einem Knall zerplatzen oder langsam Luft ablassen, wie derzeit in Großbritannien.


    Für den Notfall setzen die Anleger und Händler rund um den Globus jetzt vor allem darauf, dass Bernanke sich im ersten Jahr ähnlich verhalten wird wie sein Vorgänger. »Im Krisenfall wird auch Bernanke die Zinsen drastisch senken«, erwartet Marc Lässing, Manager bei der Fondsgesellschaft SüdKa. Lässing hat allen Grund dazu. Der Starökonom aus Princeton ist kein Unbekannter. Als Volkswirt hat er bei der Fed die Deflationsdebatte federführend vorangetrieben. Bernanke gilt als klarer, konventioneller und modellgläubiger als sein Übervater, zugleich aber auch wie Greenspan als geldpolitischer Aktivist.

    Transparenter, das dürfte die Politik der Fed unter Bernankes Regie werden. »Bernanke wird schon in einem Jahr ein Inflationsziel bekannt geben«, sagt Ökonom Wieland, der früher im Stab der Fed gearbeitet hat. Sich festzulegen hat Greenspan immer abgelehnt. Ein Inflationsziel, fürchtete er, könne ihm die nötige Flexibilität rauben. Zum dynamischen Kapitalismus, wie er ihn versteht, passt keine Regel, passt kein Modell und erst recht nicht die Verengung der Politik auf einen einzigen Parameter: die Inflation. Normen hat sich Greenspan immer widersetzt, und so lässt sich schon erahnen, unabhängig davon, wie die Ökonomen seine Leistung künftig bewerten werden: Einen wie ihn wird es nicht mehr geben.

    © DIE ZEIT 26.01.2006 Nr.5

    Quelle: https://www.zeit.de/2006/05/Alan_Greenspan?page=all

  7. Avatar von mfabian
    mfabian

    Standard

    Zitat Zitat von Lancelot
    Eben, im Häusermarkt und im Anleihemarkt sind die Preise auf hohem Niveau. Ich sehe dort auch Deflations-Gespenster!

    Lancelot
    Deflation hat nichts mit Preisen zu tun sondern mit der Geldmenge. Genauso wenig, wie Inflation etwas mit steigenden Preisen zu tun hat.

    Na ja, zumindest nicht immer. Siehe hierzu auch: https://www.stock-channel.net/stock-board/showthread.php3?t=10580

    Deflation tritt dann ein, wenn die Konsumenten keine Kredite mehr aufnehmen, egal wie tief die Zinsen sind.

    Doch warum sollten die das tun?

    Dafür gibt es mehrere Gründe:

    1. Die Konsumenten sind bereits zu hoch verschuldet und wollen sich auch bei 0%-Zinsen keine neuen Schulden mehr aufbürden.

    2. Sie erwarten, dass die Preise sinken werden (= klassische Deflation). Wozu soll man heute etwas teuer kaufen, wenn man es morgen billiger kriegt?

    3. Unternehmen benötigen keine Kredite, da sie für die Zukunft nicht mit steigendem Absatz rechnen und somit keinen Grund sehen, neue Kapazitäten aufzubauen, zu investieren.


    Ich habe oft behauptet, dass das FED einfach Dollars druckt und somit die Geldmenge erhöht (= inflationiert). Das ist zwar richtig aber doch nicht so ganz. Das FED kann entweder die Geldmenge oder die Zinsen bestimmen. Nie beides gleichzeitig!

    Sprich: Erhöht es einfach die Geldmenge, wird sich der Markt-Zins nach dieser Geldmenge richten.
    Verändert es die Zinsen (macht Geld teurer oder billiger) wird sich entsprechend die Nachfrage nach Krediten erhöhen oder senken.

    Beide Parameter sind zwar voneinander abhängig aber nicht in dem Ausmasse, wie oft angenommen wird.

    Beispiel: Eine Firma, die die wachsende Nachfrage kaum noch befriedigen kann, wird investieren müssen und dabei spielt es keine grosse Rolle, ob die zinsen 1% oder 5% betragen.

    Andererseits fehlt ohne steigende Nachfrage der Bedarf zu Investitionen. Es werden einfach keine Kredite benötigt, egal wie billig die Kredite sind.

    Ob Greenspan grössere Einbrüche der Wirtschaft verhindert oder lediglich verzögert hat, wird die Zukunft zeigen. Zugegeben, er hat Crashs nach 1987, während der Asien- und Südamerika-Krisen wie auch nach dem Zusammenbruch von LTMC oder 9/11 verhindert. Amerika hat sich diese Schonfrist aber mit Finanz-Blasen und einer gigantischen Verschuldung erkauft. Ob Greenspans Hoffnung aufgeht, die Problem werden sich von alleine Lösen und die Blasen werden langsam deflationiert?

    Ich habe da so meine Zweifel.

  8. Avatar von Lancelot
    Lancelot

    Standard

    "Deflation hat nichts mit Preisen zu tun sondern mit der Geldmenge"

    @Marcus: Du Verwechselst die Sprachen wieder. Das haben wir schon mal diskutiert.

    Auf englisch "Inflation" = "Teuerung" und "Deflation" = fallende Preise.
    Igal was die Herkunft dieser Worte war, so heissen sie heute.

    Ich sehe Deflation im Anleihemarkt, das heisst fallende Preise und steigende Rendite. Du wahrscheinlich auch. Machts nicht so kompliziert, sonst verlieren wir den Gedankengang.

    Lancelot

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