BGH verhandelt zum Rangsdorfer Hausdrama "Kann das wirklich richtig sein?" von Dr. Max Kolter und Mathilde Harenberg 17.01.2025
Ein versöhnliches Ende in einem zwölfjährigen Rechtsstreit: Das Haus darf stehen bleiben. Und wenn die Familie ausziehen muss, soll sie immerhin Geldersatz erhalten. Dafür müsste der V. BGH-Senat aber seine Rechtsprechung zum EBV aufgeben.
• Recht und Gerechtigkeit sind zwei unterschiedliche Sachen.
Das lernen nicht nur Jurastudierende, sondern bekommen immer wieder auch Nichtjurist/innen zu spüren. Kristin und Philipp W. traf es besonders hart. Sie leben seit 2012 zusammen mit ihren zwei Töchtern im brandenburgischen Rangsdorf in einem selbst gebauten Haus.
• Noch, denn seit 2014 steht gerichtlich fest, dass der seit 2010 als Eigentümerin eingetragenen Kristin W. das Grundstück gar nicht gehört.
Sie hatte damals den Zuschlag bei einer Zwangsversteigerung erhalten.
Die war gegen den in den USA lebenden Vor- und Noch-Eigentümer Erik S. betrieben worden.
• Weil die Versteigerung ohne dessen Kenntnis geschah, hob das LG Potsdam den Zuschlagsbeschluss im März 2014 auf – dies wiederum, ohne die Eheleute W. dazu anzuhören.
Die Konsequenz sprach am Freitagmorgen die Vorsitzende des V. Zivilsenats des BGH Dr. Bettina Brückner aus: "Es dürfte davon auszugehen sein, dass die Beklagte zu 1" – gemeint ist Frau W. – "das Eigentum an dem Grundstück verloren hat."
Das gilt rückwirkend, Frau W. ist also nie (wirksam) Eigentümerin geworden. Beim BGH kämpfen die Eheleute in letzter Instanz darum, in Rangsdorf wohnen bleiben zu dürfen. Ob das klappt, hängt nun davon ab, ob S. bereit ist, den Eheleuten die Kosten für den Hausbau zu erstatten.
• Denn – das war am Freitag die gute Nachricht für die Eheleute W. – der V. Senat tendiert dazu, ihnen ein Zurückbehaltungsrecht zuzugestehen.
• Hieße: Sie müssten das Haus auf dem Grundstück nicht abreißen, und solange S. ihnen die Kosten für den Bau nicht erstattet, könnten sie die Räumung verweigern.
Entscheidet der BGH über die Revision der Eheleute am Ende tatsächlich so, ändert er damit eine 60 Jahre alte Rechtsprechung ab – und zwar im Sinne der Gerechtigkeit, wie Richterin Brückner klarmachte (V ZR 153/23).
"Von einem Interessenausgleich ist im Berufungsurteil nicht viel zu sehen"
Der Rechtsstreit ist für Familie W. eine schwere Belastung, Kristin W., mit dem dritten Kind im neunten Monat schwanger, ringt nach der Verhandlung mit den Tränen. "Das ist ja auch eine Farce, die wir da seit zwölf Jahren mitgemacht haben", sagte sie zu den Journalist:innen.
Ein Albtraum wäre der Fall auch für Kandidat/innen zum juristischen Staatsexamen, sollten sie ihn als Klausur vorgesetzt bekommen. Das deutete auch Richterin Brückner an, als sie klarmachte: Weil S. all die Jahre Eigentümer blieb und die Eheleute W. nur Besitzer ohne Besitzrecht – es gab ja keinen Mietvertrag oder ähnliches –, liege hier ein sogenanntes Eigentümer-Besitzer-Verhältnis vor, kurz EBV. Das EBV sei "bei Studierenden gefürchtet", so Brückner, weil in den dazugehörigen §§ 987 ff. BGB "eigentlich alles umstritten ist". "Einfach zu verstehen aber ist der Grundgedanke dieser Regelungen", fuhr sie fort.
• Der besteht darin, den redlichen, unverklagten Besitzer zu schützen – also den, der nicht weiß oder wissen kann, dass er kein Eigentümer ist.
Das BGB bezweckt hier einen "angemessenen Ausgleich zwischen Eigentümer und unberechtigtem Besitzer", betonte Brückner. An manchen Stellen soll Recht also doch gerecht sein. Ist das im Rangsdorfer Hausdrama bisher gelungen? "Da kommen doch Zweifel", sagte Brückner. "Von einem Interessenausgleich ist im Berufungsurteil nicht viel zu sehen. Das Urteil kann für die Beklagten als ruinös bezeichnet werden."
"Ich liebe dieses Haus"
Das war deutliche Kritik am Urteil des OLG Brandenburg vom September 2023. Das hatte der Räumungs- und Abrissklage von S. vollumfänglich stattgegeben und die Eheleute W. zudem auf Nutzungsersatz in Höhe von etwa 6.000 Euro verurteilt; LTO berichtete.
Hätte das Urteil Bestand, müsste sich die bald fünfköpfige Familie nicht nur eine neue Bleibe suchen, sondern sie würde auch das selbst gebaute Haus verlieren und für die halbe Million Euro Baukosten keinen Ausgleich erhalten. "Ich liebe dieses Haus. Ich habe dieses Haus selber gebaut, mit Familie, mit Freunden", sagte Philipp W. nach der Verhandlung zu LTO. "Aber man muss sich klar machen, dass es kein Kind ist, dass es keine Mutter ist, dass es keine Ehefrau ist, sondern dass es ein Haus ist. Das kann man nachbauen." Dafür braucht man aber eben Geld – und das möchte der BGH der Familie offenbar zusprechen: in Gestalt eines Verwendungsersatzes nach § 996 BGB.
Das ist eine dieser EBV-Vorschriften, bei denen laut BGH-Richterin "alles umstritten" ist.
• Danach kann der gutgläubige, unverklagte Besitzer vom Eigentümer die "auf die Sache gemachten Verwendungen", wie es § 994 BGB formuliert, in Geld ersetzt verlangen, wenn sie den Wert der Sache erhöhen.
Im Klartext: Der unrechtmäßige Besitzer muss die Sache zwar zurückgeben, erhält aber die Aufwendungen erstattet, die er in die Sache investiert hat und die ihren Wert erhöhen. Auch hier ist Gerechtigkeit die Idee: Warum sollte der Besitzer auf den Ausgaben sitzen bleiben, wenn sie den Wert der Sache erhöhen, damit also dem Eigentümer zufließen? Warum sollte dieser, nachdem er die Sache zurückerhält, bessergestellt sein als vorher? Im Rangsdorfer Fall hatten die Eheleute ein heruntergekommenes Wochenendhaus abgerissen und ein modernes Einfamilienhaus nach ihren Wünschen errichtet.
V. Senat will Rechtsprechung ändern – zieht der XII. Senat mit?
Das OLG Brandenburg war hier hart geblieben: kein Ersatz für die Hausbaukosten. Dabei hatte das Gericht auf die bisherige Rechtsprechung des BGH verwiesen. Die referierte auch Richterin Brückner: Der BGH differenziere bislang zwischen Haus und Grundstück, das sind sachenrechtlich eben erst mal zwei verschiedene Dinge. Wer ein heruntergekommenes Haus saniere, mache Verwendungen auf dieses. Wer aber auf einem unbebauten Grundstück ein neues Haus baue oder ein altes Haus abreiße, bilde etwas Neues. Eine Differenzierung, die die rechtswissenschaftliche Literatur laut Brückner seit jeher "in seltener Einhelligkeit bekämpft" habe. "Kann es darauf wirklich ankommen? Kann es wirklich richtig sein, dass in dieser Situation nur die Interessen des Eigentümers zählen?"
Diese Fragen waren eigentlich eine Aussage:
"Der Senat zieht ernsthaft in Erwägung, seine Rechtsprechung zu ändern." Zuletzt hatte der V. Senat 1964 über die Frage entschieden und seither keine Möglichkeit gehabt, das zu korrigieren.
Das gehe aber nur in Abstimmung mit dem XII. Senat. Der habe mittlerweile die Zuständigkeit vom VIII. Senat übernommen, welcher in den 50/60er Jahren die Rechtsprechung des V. Senats zu den Hausbaukosten geteilt habe.
Gesichert ist der Erfolg der Eheleute W. insofern also nicht.
• Entscheidet der Brückner-Senat am Ende in ihrem Sinne, können sie aus dem Anspruch auf Kostenersatz ein Zurückbehaltungsrecht ableiten:
Die Rückgabe des Grundstücks und Haus gibt es also nur gegen Zahlung der Baukosten durch S.
Auch Kläger konnte darauf vertrauen, dass ihm der Staat nicht sein Eigentum wegnimmt
Dr. Guido Toussaint, der als BGH-Anwalt die Eheleute W. vertritt, bestärkte den V. Senat in seinem Vorhaben, seine 60 Jahre alte Auffassung aufzugeben. "Es ist höchste Zeit, das mal aufzuräumen."
Sein Gegenüber RA Prof. Dr. Christian Rohnke sah das naturgemäß anders. "Hard cases make bad law", sagte Rohnke. Dieser alte Lehrsatz ist als Warnung vor richterlichem Aktionismus zu verstehen: Nur weil im Einzelfall eine unbillige Härte vorliegt, sollte man nicht bestimmte Rechtsauslegung grundlegend ändern. Rohnke fragte, ob es gerechtfertigt sein kann, "plötzlich durch diesen atypischen und dem Gerechtigkeitsempfinden auf den ersten Blick widerstrebenden Fall die Rechtsprechung aufzugeben".
Daneben wies er auf den Umstand hin, dass auch der klagende Eigentümer S. in dem Rangsdorfer Drama ein Leidtragender ist.
Das kann man so sehen: Schließlich hatte das AG Luckenwalde sein Grundstück 2010 zwangsversteigert, ohne ihn ordnungsgemäß zu laden. Dabei hatte es eine ladungsfähige Adresse gegeben.
Dies war der Grund, warum das LG Potsdam den Zuschlagsbeschluss 2014 aufgehoben und den W.s das Eigentum abgesprochen hatte. Ebenso wie diese habe doch auch S. darauf vertrauen können, dass der Staat ihm nicht sein Eigentum wegnehmen würde, ohne ihn überhaupt am Verfahren zu beteiligen, argumentierte Rohnke. Verantwortlich sei laut dem Anwalt hier eindeutig das Land Brandenburg, dass das Zwangsversteigerungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt hatte.
• Die Lösung liege daher in einem Amtshaftungsanspruch.
BGH klar: kein Anspruch auf Abriss
Ob nun das AG Luckenwalde oder das LG Potsdam den (größeren) Fehler gemacht hat – dass das Land Brandenburg die Hauptschuld trägt, da waren sich am Freitag in Karlsruhe alle einig.
Richterin Brückner jedoch machte deutlich, dass das nicht ihrem Verständnis von einem angemessenen Interessenausgleich entspreche,
Familie W. auf Haftungsansprüche gegen den Staat zu verweisen.
• Im Verhältnis zwischen den Parteien des EBV spiele das Land Brandenburg zudem keine Rolle.
• Sie stellte zugleich klar, dass ein Anspruch auf Abriss des Hauses nicht besteht.
• Das hatte das OLG Brandenburg anders gesehen und § 1004 Abs. 1 BGB bejaht.
Laut Brückner zwinge der Schutzzweck der EBV-Vorschriften aber dazu, die redlichen unverklagten Besitzer nicht in dieser Weise zu belasten.
Beklagten-Anwalt Toussaint bekräftigte hierzu, dass S. sich darüber nicht beklagen könne, bekomme er doch ein "wunderschönes Einfamilienhaus". "Dass er lieber in einer verfallenen Hütte gehaust hätte, mag so sein", er müsse aber hinnehmen, was die Familie in der Zwischenzeit mit dem Grundstück gemacht hatten.
• Und dann war da noch eine Grundschuld, mit der das Grundstück belastet ist.
Diese hatten die Eheleute zur Finanzierung eines Bankkredits bestellt. S. verlangt Löschung, auch insofern gab ihm das OLG Brandenburg Recht, der Anspruch ergebe sich aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB.
Aus Sicht des BGH die falsche Norm: Die Eheleute hätten als Nicht-Eigentümer das Grundstück belastet und damit darüber verfügt.
• Das sei eine Verfügung eines Nichtberechtigten nach § 816 BGB.
• Die Folge: S. kann von den W.s nur das aus dieser Grundschuld-Bestellung Erlangte herausverlangen.
Nur was ist das?
• Laut Brückner allenfalls die vergünstigten Kreditkonditionen, nicht aber die Kreditsumme selbst.
Eine weitere gute Nachricht für die Familie. Eine letzte erzählte Kristin W. nach der Verhandlung auf Nachfrage von LTO: Die Gespräche mit den Brandenburger Behörden über eine mögliche Entschädigung durch das Land seien "gut".
• Auch dort wartet man aber zunächst das Urteil des V. Senats ab, das am 14. März verkündet wird.