Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Hallo zusammen,
ich bin Schüler und habe angefangen mich etwas mit dem Thema Leitzins zu beschäftigen für ein Referat (ich bin also absolut kein Experte). Was ich mich frage ist, ob denn der Leitzins in einem Land auch dann wichtig ist, wenn es keine Mindestreserven gibt bei der jeweiligen Zentralbank?
"Die Giralgeldschöpfung ist ein Buchungsakt. Insbesondere müssen Geschäftsbanken dieses neue Geld (D) nicht vorher als Eigenkapital besessen haben, nicht als Kundeneinlagen in ihrer Bilanz gehalten haben und nicht von der Zentralbank oder anderen Geschäftsbanken leihen. Sie müssen allerdings in der Folge dieser Giralgeldschöpfung die Mindestreserveanforderungen der Zentralbank einhalten sowie die Mindesteigenkapitalanforderungen für Kreditrisiken erfüllen."
Das heißt ja, dass die Geschäftsbanken erst einmal Buchgeld schaffen können ohne davor bei der Zentralbank einen Kredit aufzunehmen. Sie müssen lediglich sicherstellen, dass sie die Mindestreserven erfüllen.
In dem Wikipadia-Artikel über Mindestreserven (https://de.wikipedia.org/wiki/Mindestreserve) steht, dass "Zentralbanken einiger Länder, wie Australien, Kanada, Großbritannien oder Schweden, fordern zurzeit keine Mindestreserve.". Auch wird angegeben, dass die "Federal Reserve System" der USA eine Mindestreserve von 0 % hat aktuell. Somit wäre es doch in diesen Ländern nach meinem Verständnis egal, wie hoch der Leitzins ist. Die Geschäftsbanken müssen ja so oder so keinen Kredit aufnehmen bei den Zentralbanken um Buchgeld zu schaffen und wenn es auch keine Mindestreserve gibt, dann können die ja eigentlich nach Belieben Kredite vergeben an Kunden (sofern die Kunden dafür in das Schema der Bank passen).
Mir ist klar, dass die Wikipedia-Artikel auch falsche Informationen beinhalten können oder - was ich als wahrscheinlicher ansehen - dass ich da etwas nicht ganz verstanden habe. Deswegen wollte ich hier einfach mal nachfragen. Wäre super, wenn mir jemand von euch etwas mehr dazu sagen könnte.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Die Geschäftbanken benötigen nicht nur für die Kreditvergabe Zentralbankgeld, sondern auch, um die Basel-Anforderungen zu erfüllen, für die Auszahlung von Bargeld an ihre Kunden oder Überweisungen an andere Geschäftsbanken. Sollten die Banken nicht anderweitig in der Lage sein, sich das dafür notwendige Zentralbankgeld zu beschaffen, können sie bei der Zentralbank einen Kredit aufnehmen und es sich leihen. Für diese Kredite spielt der Leitzins als Kreditzins eine Rolle.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Hallo Peter,
da hast du dir gleich al ein sehr komplexes Thema ausgesucht... also zunächst musst du dich von dem Gedanken verabschieden, dass es den "Leitzins" gibt. Eine Notenbank legt 3 Zinssätze fest und nicht einen Leitzins.
Wie die Zinssätze nun genau heißen, müsste ich nachsehen, aber das findest du sicher schnell irgendwo im Internet:
Zinssatz 1 wird häufig als Leitzins bezeichnet und bedeutet, dass Banken bei der Zentralbank Sicherheiten hinterlegen können z.B. Anleihen und dafür Geld bekommen mit dem Die Banken "arbeiten" können, also z.B. Kredite vergeben können. Dieser Zinssatz ist aktuell bei 0 Prozent. Dieser Zins (deshalb wird er als Leitzins bezeichnet) beeinflusst die Kreditzinsen der Banken für Darlehen an Kunden. Eine Bank hat auch noch andere Refinanzierungsmöglichkeiten (z.B. über Pfandbriefe), aber vereinfacht bedeutet das: Die Bank zahlt für einen Teil des Kredites 0 Prozent Zinsen an die Zentralbank, dazu kommen allg. Kosten der Bank für Mitarbeiter, Gewinnspanne der Bank und dann steht am Ende der Darlehenszins für den Kunden beim Kauf einer Immobilie. Wenn man sehr ins Detail gehen würde (was deutlich über dein Referat hinausgehen würde, das wäre dann eher etwas für eine Diplomarbeit) beeinflussen Inflationserwartungen, Wachstumserwartungen, Stablität eines Wirtschaftsraums usw. die Zinsen, aber dieser Leitzins beeinflusst die Darlehenszinsen sehr stark.
Der 2. Zinssatz sind "über Nacht Einlagen" bei den Notenbanken. Jede Bank macht jeden Tag unzählige Geschäfte. Kunden bringen Geld zur Bank, Kunden holen Geld, Kredite werden vergeben usw. Nun ist e snicht so, dass jeden Abend Geldtransporter zu jeder Bank fahren und quasi das Tagessaldo mit realem Geld ausgeglichen wird. Deshalb hat jede Bank ein Konto bei der Notenbank. Der Überschuss an Liquidität einer Bank wird dort automatisch "über Nacht angelegt", dass es keine physischen Auszahlungen nötig werden. Für diese "über Nacht einLagen" legt die Notenbank eine Zins fest. Ist z.B. für Tagesgeldkonten wichtig, da Banken dieses Kaital natürlich täglich verfügbar halten müssen.
Der 3. Zins betrifft ebenfalls diese Über nacht Einlagen und zwar, wenn eine Bank beim Tagesabschluss in "Negative" rutscht. Dann leiht dich die Bank quasi dieses Geld über Nacht bei der Notenbank und bezahlt dafür einen Zins.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Danke für eure Antworten,
@Cici: Das heißt, wenn eine Bank einer anderen Bank Geld überweisen muss, dann benötigt sie immer Zentralbankgeld dafür?
@StGe1973: Du hast geschrieben "Dieser Zins (deshalb wird er als Leitzins bezeichnet) beeinflusst die Kreditzinsen der Banken für Darlehen an Kunden". Meine Frage ist ja, warum da so ist, wenn es keine Mindestreserve gibt (so wie in einigen Ländern)? Für die Vergabe eines Kredites benötigt eine Bank erst einmal kein Zentralbankgeld.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Nein, aber die Bank kann auch nicht unbegrenzt Kredite vergeben, da die Bank Eigenkapitalanforderungen unterliegt.
Dann ist es in etwa wie bei dir selbst, wenn du z.B. bis 100.000 Euro (haben und neu erschaffen z.B. Über Kredite über den Interbankenmarkt) verfügen könntest und das Geld per Privatkredite verleihen würdest. Du könntest also alles bei der Zentralbank anlegen und z.B. 1% Zins bekommen. Also wirst du natürlich beim Verleihen von Geld (weil da für dich ein gewisses Risiko besteht, dass Geld nicht zurück bekommst, dass du bereit bis x Jahre auf das Geld zu verzichten usw.) 3 % Zins verlangen.
Wenn du 3% Zins sicher bekommst, dann wirst du eben 5 % Zins beim Verleihen verlangen.
Also die Zentralbanken legen quasi einen 100% sicheren Habenzins für die Banken fest. Die Banken leiten damit ihre Sollzinsen ab und so kann die Notenbank Zinsen beeinflussen.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Zitat von PeterBer
Das heißt, wenn eine Bank einer anderen Bank Geld überweisen muss, dann benötigt sie immer Zentralbankgeld dafür?
Richtig. Das von den Geschäftsbanken geschöpfte Giralgeld ist immer nur innerhalb der jeweiligen Bank gültig. Bei jeder Auszahlung muss dieses Buchgeld in Bargeld (eine Form von Zentralbankgeld) umgewandelt werden. Ebenso akzeptieren andere Geschäftsbanken auch kein fremdes Buchgeld bei Überweisungen untereinander sondern nur Zentralbankgeld. Die Verwaltung dieser Guthaben erfolgt dann über spezielle Konten bei der Zentralbank.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Danke @StGe1973 und @Cici für eure Antworten. Die haben schon ganz gut geholfen :-)
Was mir noch nicht ganz klar ist, ist der Unterschied zwischen Mindestreserve, Eigenkapitalanforderungen und Basel-Anforderungen.
Für die Mindestreserve benötigt man in einigen Ländern kein Zentralbankgeld. @StGe1973 schrieb jedoch, dass eine "Bank Eigenkapitalanforderungen unterliegt" und @Cici schrieb, dass eine Geschäftsbank Zentralbankgeld benötigt "um die Basel-Anforderungen zu erfüllen".
Ist es so, dass eine Geschäftsbank - unabhängig von der Mindestreserve - noch zusätzliches Zentralbankgeld haben muss?
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Mindestreserve: Ist zum Schutz vor Bankruns von Kunden, bedeutet eine Bank muss z.B. 1% (Mindestreservesatz) der Kundeneinlagen bei der Notenbank als Einlage haben. Wenn nun Kunden schnell und viel Bargeld habe wollen, dann ist dies ein "Puffer", um die Kunden auszuzahlen. Funktioniert in etwa so: Kunden haben Angst kein Geld mehr zu bekommen und rennen alle zur Bank. Wenn die Kunden nun sehen, dass die Bank genügend Geld auszahlen kann, dann legt sich der Bankrun wieder. Wenn die Kunden sehen, dass die Bank nicht genügend auszahlen kann, dann verschärft sich der Bankrun. Festlegung durch die Notenbank, um Vertrauensverlust bei Bargeldabhebungen von Kunden ins Banksystem zu verhindern.
Eigenkapitalanforderungen: Kommen aus Basel I-III und sollen verhindern, dass Banken "insolvent" werden. Um eine möglichst hohe Eigenkapitalrendite zu haben (Ackerman wollte z.B. 25%), nutzen Banken extrem den Leverage Effekt. Möglichst wenig EK, möglichst viel FK und damit die Chance auf extrem hohe EK-Renditen. Allerdings steigt auch das Risiko für die Bank, wenn "Geschäfte" platzen. Deshalb als Antwort auf Bankeninsolvenzen, Finanzkrisen wurden EK-Anforderungen an Banken erhöht, da sonst Staat immer systemrelevante Institute "retten" muss. Ek Anforderungen sind staatliche und gesetzliche Vorschriften, Stichwort Vermeidung von Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten im Insolvenzfall und um die Stabilität des Bankensystem durch hohe Risiken und Insolvenz vieler kleiner Banken oder einer großen Bank zu verhindern.
Nun ja, theoretisch benötigt eine Bank kein Zentralbankgeld im laufenden Betrieb, wenn alles perfekt laufen würde:
Bargeld: Kunden haben imme rebenso viel Bargeld an, wie Bargeld von Kunden einbezhalt wird.
Digital, wie z.b. Überweisungen, Kreditvergaben, Kreditrückzahlungen: Hier sind Ungleichgewichte unvermeidbar d.h. an jedem Ende eines Geschäftstageshat eine Bank einen Überschuss oder Defizit. Theoretsich (wenn der Interbankenmarkt perfekt funktionieren würde) könnten die Banken diese Überschüsse und Defizite selbst untereinander ausgleichen, indem sie sich "über Nacht" gegenseitig Geld leihen.
Da es in der Praxis "perfekt" nicht gibt, springt die Notenbank ein. Deshalb hat jede Bank bei der Notenbank ein Konto, um Überschüsse "über Nacht" dort zu parken oder sich "über Nacht" Geld von der Notenbank zu leihen.
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Danke @StGe1973 für deine Antwort,
die Eigenkapitalanforderungen aus Basel I-III müssen dann als Zentralbankgeld gehalten werden? Das heißt, dass die Banken wenn sie Kredite vergeben einen Teil davon als Zentralbankgeld wieder von der Zentralbank als Kredit aufnehmen müssen?
AW: Ist der Leitzins auch dann wichtig wenn es keine Mindestreserven gibt?
Ich bin nun kein Experte für Basel Abkommen, aber mM hat Basel nichts mit den Zentralbanken zu tun. Eigenkapital einer Bank sind z.B. einbehaltene Gewinne, gezeichnetes Kapital, Kapital auf Kapitalerhöhungen durch Ausgabe neuer Aktien usw.
Dieses EK muss zur Unterlegung mit einer bestimmten Quote, ich meine 8%, von risikobehafteten Geschäften z.B. Vergabe von Krediten einer Bank vorhanden sein. Somit kann eine Bank unbegrenzt Kredite vergeben oder andere Geschäfte mit FK tätigen, sondern nur bis zum Volumen, dass es der Unterlegung mit EK entspricht. Höhere Volumina sind nur nach Erhöhung des Eks möglich.