Ich habe 350.000 Euro an der Börse verzockt – fast mein ganzes Vermögen
Ich war dumm, gierig und risikofreudig.
Ich war 26 und dumm. Mit 18 war ich in die USA gekommen. Ich hatte kein Geld und hielt mich während des Colleges mit beschissenen Jobs über Wasser. Seit meinem Abschluss habe ich ausschließlich im Sales-Bereich gearbeitet. Ich habe keine tolle Uni besucht. Bei meinem ersten Job verdiente ich 40.000 US-Dollar im Jahr. Beim nächsten waren es 50.000. Erst vor dreieinhalb Jahren bekam ich einen vernünftigen Job und fing an, richtig Geld zu machen. Es war fantastisch.
Ich hatte sonst keine Hobbys. Nur Geld verdienen und meinen Kontostand wachsen sehen. So habe ich mir eine ordentliche Summe zusammengespart. Das war so ziemlich alles, was ich drei Jahre lang tat: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ich brauchte etwas, um auf andere Gedanken zu kommen. Sonst wäre ich durchgedreht. Geld zu investieren schien mir aufregend, ein bisschen wie Glücksspiel.
Ich bin super konservativ. Ich gebe kaum Geld aus. Meine monatlichen Ausgaben betragen etwa 2.500 Dollar, davon gehen 900 für die Miete drauf. Die drei größten Anschaffungen, die ich in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben, waren 2014 ein Laptop, 2017 ein Auto für 2.700 Dollar und vor Kurzem ein neues iPhone für 1.300 Dollar. Bis dahin hatte ich immer das alte von meiner Mutter bekommen, wenn sie sich ein neues geholt hat.
Auch wenn das jetzt blöd klingt: Ich würde mich auch als konservativer Anleger bezeichnen. Ich hatte 300.000 Dollar auf einem Sparkonto, das im Jahr 1.000 Dollar abwarf. Es war lächerlich. Zu meinem Job gehört es, Informationen über Unternehmen einzuholen und zu versuchen Geschäfts- und Wirtschaftsmodelle zu verstehen. Ich lese viel und es gibt eine Menge Bücher übers Investieren.
2017 legte ich ein bisschen Kleingeld, etwa 3.000 Dollar, in Krypto an. Ich habe alles verloren. Da ich insgesamt nur 5.000 Dollar hatte, war das für mich schon viel Geld. Aber ich sah, wie alle um mich herum super viel Kohle machten. Ich arbeite im Tech-Bereich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind schwerreich, so um die zehn Millionen Dollar reich. Und dann passierte GameStop. Ich wurde gierig und hatte vor allem Angst, etwas zu verpassen.
Es begann mit einer 5.000-Dollar-Finanzwette auf die Aktie des Kinobetreibers AMC. Als ich dann auf etwas anderes setzte, wurden aus den 5.000 Dollar 15.000. Daraus wurden wiederum 50.000 Dollar, als ich auf Silber umstieg. Dann hatte ich das Gefühl, mein Geld endlich mal sicher anzulegen. Alibaba schien mir eine sichere Wette. Der Kurs war zu dem Zeitpunkt zwar von 300 auf 245 US-Dollar gefallen, aber ich suchte ein Unternehmen mit geringem Kurs-Gewinn-Verhältnis und alle Analysten gaben Alibaba ein Buy-Rating mit 40 bis 50 Prozent Aufwärtspotenzial. Ich hatte das Gefühl, hier eine sehr, sehr sichere Sache vor mir zu haben.
Dann habe ich alles auf eine Karte gesetzt, besser gesagt auf ein Finanzprodukt: Call-Optionsscheine auf Alibaba zu einem Basispreis von 200 US-Dollar. Mit diesen Optionsscheinen kaufst du nicht direkt Aktien, sondern vielmehr das Recht, an einem bestimmten Termin eine Aktie zum entsprechenden Basispreis zu kaufen. Liegt der Kurs der Aktie an dem Termin höher als dein Basispreis, machst du Gewinn, liegt er darunter, will niemand mehr deine überteuerten Optionsscheine haben und dein Geld ist futsch. In Wirklichkeit ist das alles noch ein gutes Stück komplizierter, aber kurz gesagt: Ich wettete darauf, dass der Alibaba-Kurs nicht unter 200 US-Dollar sinken würde.
Im Februar investierte ich 300.000 US-Dollar, so ziemlich mein komplettes Kontoguthaben. Meine Risikokalkulation ging folgendermaßen: Ich würde vielleicht nicht steinreich werden, aber auch nicht viel verlieren. Die Nachteile schienen mir überschaubar und im allerschlimmsten Fall würden mir am Ende noch 280.000 Dollar bleiben.
Fast sofort ging der Alibaba-Kurs auf Talfahrt. Ich verfolgte ihn Tag und Nacht, es machte mich fertig. Zu meinem Unglück wird die Aktie auch noch an zwei Börsen gehandelt, in Hongkong und den USA. Du kannst also Montag bis Freitag den Kurs beobachten, Tag und Nacht.
Am 13. April sagte meine Mutter mir, dass ich sofort aussteigen und verkaufen soll. Vielleicht war es mein Ego, vielleicht einfach nur Dummheit, aber ich war noch immer felsenfest von meinem Plan überzeugt. Immerhin sagten alle "schlauen Leute", dass der Kurs wieder hochgehen wird. Ich vertraute darauf. Und bald hatte ich wieder knapp 100.000 Dollar angespart. Ich steckte im Juli alles in die Wette. Insgesamt hatte ich nun also etwa 400.000 Dollar investiert, das entspricht um die 350.000 Euro. Natürlich hatte mir meine Mutter davon abgeraten, aber ich tat es trotzdem. Ich war dumm, gierig und risikofreudig.
In den folgenden zehn Tagen stürzte der Kurs wieder um 30 Prozent ab. Ich war inzwischen vollkommen aus dem Geld, wie es im Finanzsprachlich heißt. Das bedeutet, dass sich der Aktienwert unterhalb des Basiswerts befindet. Oder kurz gesagt: Ich war im Arsch.
Meine 400.000 lösten sich quasi in Luft auf. Zu diesem Zeitpunkt war mir bewusst, dass ich aus der Sache nicht mehr rauskommen würde. Ich betete, am Ende noch wenigstens 300.000 Dollar zu haben. Und nein, ich bin nicht religiös.
Aber in Wahrheit war ich ziemlich optimistisch. Ich hatte noch 75.000 über und hoffte, dass sich der Alibaba-Kurs erholen würde, was er natürlich nicht tat. In der Zeit, in der ich überlegte, wie ich das ganze Geld zurückverdienen könnte, waren aus den 75.000 bereits 50.000 Dollar geworden.
Zwei Monate war ich einfach nur deprimiert. Ich wusste, dass ich es verschissen hatte, und ich fühlte mich dumm. Ich war so unglücklich, dass meine Eltern mich mit Samthandschuhen anfassten. Klar, meine Mutter hatte mir ein paarmal gesagt, dass ich unbedingt verkaufen soll, aber sie unterstützte mich trotzdem. Sie wusste, dass ich mich deswegen schon selbst genug fertigmachte. Ich hätte auf sie hören sollen. Sie hatte mir gesagt, dass ich mein Portfolio etwas breiter aufstellen sollte. Aber wegen ihrer ständigen Ratschläge hatte ich das dringende Bedürfnis, es unbedingt anders machen zu müssen.
Im Oktober verkaufte ich dann alles und schloss den Account meiner Trading-App. Das war kurz vor meinem Geburtstag. Ich wollte das einfach nicht mehr mit mir rumschleppen. Mir blieben knapp unter 20.000 Dollar, trotzdem fühlte ich mich viel besser.
Eine Sache, die mir geholfen hatte, war eine zufällige Begegnung mit einem Mann. Er dürfte in seinen 50ern sein. Über viele Jahre hatte er 150.000 Dollar angespart und sie investiert. Er verlor etwa 110.000 davon. Jetzt sei es ihm nur noch wichtig, seine beiden Töchter durchs College bringen zu können, sagte er. Und ja, worüber jammerte ich eigentlich? Ich habe ein Dach über dem Kopf. Ich habe mehr als genug zu essen. Wo ist das Problem?
Auch wenn ich kein Freund von Fonds bin – dieses Passive ist einfach nicht meins –, glaube ich nicht, dass meine manische Methode die Lösung ist.
Viele Trader haben einfach keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, dass gerade die jüngeren Leute richtig, richtig dumm sind – vor allem, die, die gerade viel Kohle haben. Es gibt eine Menge Typen wie mich, die meinen, den Aktienmarkt zu kennen und die Risiken abwägen zu können. Aber die meisten tun es nicht. Aktienhandel gehört nicht in ihren Kompetenzbereich. Sie sind nichts als eingebildete Idioten.
Ich muss es ja wissen, ich war einer davon. Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat.
Alibaba ist inzwischen unter 115 US-Dollar wert. Das ist weniger als die Hälfte von dem Preis, zu dem ich eingestiegen bin. Rückblickend war es natürlich extrem offensichtlich, dass mein Plan in Sachen Risikomanagement total bescheuert war. Es war eine Kombination aus Ego, Gier, heilloser Selbstüberschätzung und der Angst, etwas zu verpassen. Aber ich würde es wahrscheinlich wieder tun. Ich würde nicht noch mal 100.000 Dollar nachlegen, aber ich hätte die erste 300.000-Dollar-Wette gemacht. Wenn ich nicht so dermaßen auf die Schnauze geflogen wäre, würde ich jetzt wieder denken: Hey, da kenne ich mich aus, das kann ich. Was, wie ich jetzt weiß, definitiv nicht der Fall ist. Was wäre gewesen, wenn ich noch mal drei Jahre gewartet hätte? Hätte ich dann zwei Millionen Dollar in den Sand gesetzt, statt 300.000?
Aber bei allem Geld, das ich verloren habe, gab es eine Sache, die ich noch viel mehr bereute. Mir wurde klar, dass ich überhaupt keine anderen Hobbys oder Interessen hatte. Seit drei Jahren habe ich nichts gemacht, als zu arbeiten. Ich kann mich an kein Wochenende erinnern, an dem ich einfach nur Spaß hatte. Wie beschissen ist das denn?