USA: Das Paulson-Paket – die Rettung?
Die Zuspitzung der Finanzkrise in der vergangenen Woche drohte in einen Kollaps des Finanzsystems zu münden. Daher sah sich die US-Regierung gezwungen, einen umfassenden Rettungsplan anzukündigen. Dieser sieht vor, den Finanzinstituten hypothekenbezogene Wertpapiere abzukaufen, um damit die Bankbilanzen zu entlasten und neue Freiräume für die Kreditvergabe zu schaffen.
Selbst bei einer schnellen und unbürokratischen Hilfe seitens des Staates dürfte das Hilfspaket nur der Anfang vom Ende der Finanzkrise sein, aber nicht zu ihrer schnellen Beilegung führen.
Geht man von einer Größenordnung des Rettungspakets von 700 Mrd. US-Dollar aus, so stiege die Schuldenstandsquote des Staates um fünf Prozentpunkte an. Die zukünftigen zusätzlichen Zinszahlungen dürften weniger als einen Viertel Prozentpunkt des nominalen Bruttoinlandsprodukts betragen.
Die bremsenden Wirkungen höherer Steuern auf das Wirtschaftswachstum sollten im Unschärfebereich bleiben. Wir rechnen für die kommenden Jahre mit einem durchschnittlichen Wachstum der US-Wirtschaft von 2 ½ %. Wegen des weiterhin bestehenden Risikos einer Kreditklemme werden wir insbesondere die Entwicklung der Kreditvergabe aufmerksam beobachten. An ihr wird sich entscheiden, ob die USWirtschaft weiter moderat wächst oder doch noch in eine tiefe Rezession fällt.
1. Nach wie vor bereiteten die Unsicherheit über die Folgewirkungen der Kreditkrise und der damit einhergehende Vertrauensmangel den Boden für eine Verschärfung der Krise, wie sie in den vergangenen Wochen festzustellen war. Um eine drohende drastische Ausweitung dieses Vertrauensverlusts und damit die Gefahr eines Kollapses des Finanzsystems zu verhindern, hat die US-amerikanische Regierung mit ihrem Rettungspaket für die Finanzmärkte einen richtigen Schritt vollzogen. Mit ihm sind nicht alle Probleme des Finanzsektors über Nacht zum Verschwinden zu bringen, allerdings gibt das Maßnahmenpaket Anlass zu Hoffnung, die Krise in den Griff zu bekommen. Die konkrete Ausgestaltung des Pakets befindet sich jedoch noch im politischen Entscheidungsprozess.
2. In der vergangenen Woche haben wir den Anfang einer Neuordnung des US-Finanzsektors gesehen. Ausgelöst wurde diese durch eine weitere Verschärfung der Kreditkrise, die das US-Finanzsystem an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht hat. Die verbliebenen zwei großen US-Investmentbanken Morgan Stanley und Goldman Sachs sehen sich gezwungen, ihren offiziellen Status als Investmentbank aufzugeben, um sich als Geschäftsbanken leichter refinanzieren zu können. Zuvor musste bereits Lehman Brothers Gläubigerschutz (Chapter 11) anmelden und Merrill Lynch wurde von der Bank of America aufgekauft. Das Vertrauen in das Bankensystem war so sehr erschüttert, dass die dreimonatigen Treasury Bills am vergangenen Donnerstag mit einer Rendite von nahe Null Prozent handelten, d.h., die Anleger verzichteten bei der Suche nach einem sicheren Hafen vollständig auf Zinserträge. Die US-Regierung sah keinen anderen Ausweg mehr und kündigte ein radikales Hilfspaket an. Dieses sieht vor, den Finanzinstituten hypothekenbezogene Wertpapiere abzukaufen, um damit die Bankbilanzen zu entlasten und neue Freiräume für die Kreditvergabe zu schaffen. Der finanzielle Rahmen des Hilfspaketes soll bis zu 700 Mrd. US-Dollar umfassen. Dabei ist eine Finanzierung durch Neuverschuldung vorgesehen. Um dies zu ermöglichen, muss der US-Kongress noch einer Erhöhung der Verschuldungsgrenze auf 11.300 Mrd. US-Dollar für das Fiskaljahr 2009 zustimmen. In dem vorgeschlagenen Hilfspaket zur Lösung der aktuellen Krise soll der Ankauf der Wertpapiere über Reverse Auctions erfolgen. Hierbei erfolgt der Abschluss zum Niedrigstgebot. Dies führt dazu, dass die zum Zuge gekommenen Institute einen Verlust realisieren. Die bei diesen Auktionen erzielten Preise dürften die Grundlage zur Neubewertung der Restbestände in den Bankbilanzen werden und bei einigen Instituten zu weiteren erheblichen Abschreibungen führen. Die Dauer der Hilfsmaßnahmen soll auf zwei Jahre begrenzt werden. Nach Ablauf dieser Frist sollen die aufgekauften Wertpapiere im Idealfall wieder verkauft sein (eventuell sogar mit Gewinn!) oder ansonsten bis zur Fälligkeit gehalten werden. Der Plan sieht vor, auch ausländischen Finanzinstituten zu helfen, sofern sie eine signifikante Geschäftsbasis in den USA haben.
3. Der US-Finanzminister Paulson forderte die Industrienationen auf, sich ebenso durch staatliche Hilfspakete an einer Lösung der Finanzkrise zu beteiligen. Die Resonanz hierauf fiel jedoch sehr zurückhaltend aus. So hat das britische Schatzkanzleramt verlauten lassen, dass ein Ankauf von Problemkrediten zurzeit nicht vorgesehen sei. Dort wird die momentane Unterstützung der Banken durch die eingeleiteten besonderen Liquiditätsmaßnahmen der Bank of England als ausreichend bezeichnet. Auch von deutscher Seite wurde eine klare Absage erteilt und von der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Hinweis versehen, dass die US-Regierung eine Mitschuld an der Krise trage, da sie bei der Bemühung um mehr Transparenz an den Märkten in der Vergangenheit keine Unterstützung angeboten hätte. Aus deutscher Sicht erscheint eine Einrichtung eines Hilfsprogramms nach US-Vorbild auch nicht geboten. Der Ursprung der Krise ist die Blase am Immobilienmarkt in den USA, die über Jahre hinweg mit niedrigen Zinsen unterstützt wurde. Ein ähnliches Problem ist in Deutschland nicht zu erkennen.
4. Die aktuelle Situation wird häufig mit der US-Savings and Loan-Krise (S&L-Krise) in den Achtzigerjahren verglichen. Das Ausmaß der Krise war Anfang 1986 offenbar geworden, nachdem der Einlagensicherungsfonds der US-Savings and Loanbanks (FSLIC) insolvent geworden war. In den folgenden drei Jahren türmten sich Zahlungsschwierigkeiten von über 1000 Instituten mit einer Summe von etwa 520 Mrd. US-Dollar auf. Anfang 1989 herrschte in der Politik Einigkeit, das Problem schnell mit einem neu einzurichtenden Staatsfonds (RTC) anzugehen. Es dauerte jedoch noch ein weiteres halbes Jahr, bis das Gesetz alle nötigen Gremien passiert hatte. Ein wesentlicher Unterschied der damaligen S&L-Krise zur heutigen Situation war, dass es Ende der Achtzigerjahre darum ging, die Einlagen der Sparer bei den betroffenen Instituten zu schützen und nicht die Not leidenden Kredite aus den Bilanzen herauszulösen. 1995 wurde der RTC schließlich geschlossen und die S&L-Krise war damit beendet. Für den Staat verblieb ein Verlust von geschätzten 125 Mrd. USDollar. Anders als beim Lösungsansatz der S&L-Krise in den Achtzigern wird nun keine eigenständige Institution gegründet, sondern die Leitung der Rettungsaktion untersteht direkt dem Finanzministerium. Die Abwicklung soll, begleitet von Assetmanagern, bei privaten Institutionen durchgeführt werden. Am kommenden Mittwoch ist eine erste Lesung im Kongress vorgesehen, um eine gesetzliche Grundlage für die Vorschläge des Finanzministeriums zu schaffen. Einigkeit besteht über die Dringlichkeit eines Gesetzes, aber der Vergleich mit der US-S&L-Krise zeigt, dass politische Interessen zu Verzögerungen führen können. Angesichts der großen Machtfülle, die Finanzminister Paulson für sich fordert, und der nur vagen Beschreibung des Hilfspaketes sind Verzögerungen zu befürchten.
5. Die Ankündigung von Maßnahmen der US-Regierung verhinderte eine akut drohende Ausweitung des Vertrauensverlusts in das Finanzsystem. Die Bilanzen der Banken werden nun bereinigt und bilden damit mittelfristig eine Basis für neue Kreditgeschäfte. Dadurch sollte langsam wieder Vertrauen in den Finanzsektor zurückkehren. Doch selbst bei einer schnellen und unbürokratischen Hilfe seitens des Staates dürfte das Hilfspaket nur der Anfang vom Ende der Finanzkrise sein, nicht aber zu einer schnellen Beilegung führen. Zunächst werden die Banken Verluste realisieren und voraussichtlich weitere Abschreibungen vornehmen müssen. Die privaten Haushalte werden im Rahmen des Maßnahmenpakets – entgegen der Forderungen der Demokraten – trotz der schlechten Lage am Immobilienmarkt keine direkten Hilfen erhalten.
6. Die Auswirkungen des Kraftaktes auf die Staatsverschuldung sind durchaus beachtlich. Geht man von der Größenordnung des Rettungspakets von 700 Mrd. US-Dollar aus, so stiege die Schuldenstandsquote in Relation zum Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozentpunkte an. Wenn die Anleihen im Wert von 700 Mrd. US-Dollar komplett noch im September, also im laufenden Fiskaljahr begeben würden (was nicht der Fall sein wird), stiege die Quote von 66 % im Vorjahr auf 73 % im Fiskaljahr 2008. Hinzu kommen allerdings noch die Belastungen aus der Verstaatlichung der beiden großen Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae sowie aus der Stützung des Versicherungskonzerns AIG und der Rettungsaktion von Bear Stearns im März dieses Jahres. Doch auch damit bewegt sich die US-Staatsverschuldung zwar am oberen Rand der Schuldenstandsquoten der westlichen Industrieländer, aber immer noch in einem relativ normalen Bereich (zum Vergleich: Deutschland 2008 voraussichtlich 62 %).
7. Da für das Haushaltsdefizit des Staates nur die Zinszahlungen relevant sind, nicht jedoch die Ausgabe von zusätzlichen Anleihen, hat unsere Defizitprognose für das Jahr 2008 von 5,5 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts weiterhin Bestand. Die Zinszahlungen der kommenden Jahre werden dagegen durch die höhere Verschuldung nach oben getrieben. Geht man realistischerweise von einem zu zahlenden Zinssatz von 4,0 % bis 4,5 % aus, so werden sich die Zinszahlungen für das Paulson-Paket auf etwa 30 Mrd. US-Dollar belaufen. Das ist weniger als ein Viertel Prozentpunkt des nominalen Bruttoinlandsprodukts. Ohne Zweifel ist die zusätzliche Belastung des Staatshaushaltes hoch, letztendlich können sich die USA dieses Paket leisten. Erst eine Herabstufung der Bonität des US-Staates mit der Folge höherer zu zahlender Zinsen auf die komplette Staatsschuld würde zu einer nennenswerteren Belastung führen. Davon gehen wir jedoch derzeit nicht aus.
8. Der wichtigste Aspekt der Analyse aus konjunktureller Sicht ist die Frage, inwieweit die Rettungsaktion höhere zukünftige Steuerlasten nach sich zieht. Mit den neuen Rahmenbedingungen dürfte es schwierig werden, die von der Bush-Regierung zu Beginn des Jahrzehnts initiierten befristeten Steuersenkungen zu verlängern. Die daraus folgenden automatischen Steuererhöhungen werden die US-Bürger ab 2010 zusätzlich belasten. Weitere Steuererhöhungen bzw. Ausgabensenkungen sind erforderlich, um den nun zusätzlich belasteten Staatshaushalt möglichst bald zukunftssicher zu gestalten, bevor die Baby Boomer mit Macht den Haushalt, insbesondere die Rentenversicherung belasten. Höhere Steuern dürften das Wachstum in den USA zukünftig leicht bremsen. Hinzu kommen die wachstumsdämpfenden Wirkungen der zu erwartenden Strukturveränderungen im Finanzsektor. Für die nächsten Jahre rechnen wir mit einem im Vergleich zu jetzt gesunkenen Potenzialwachstum von etwa 2 ½ %. Grund hierfür ist allerdings mehr das schwächere Wachstum des Arbeitsangebots als die Folgen der Finanzkrise. Die zweite Frage bezüglich der konjunkturellen Entwicklung lautet, ob diese Maßnahmen die Kreditvergabefähigkeit des Bankensystems sicherstellen. Diese ist erforderlich, damit die nichtfinanziellen Unternehmen steigende Investitionen finanzieren können, die wiederum zu baldigen Beschäftigungszuwächsen und damit zu einem wieder kräftiger wachsenden Konsum führen. Unserer Meinung nach bestehen hierfür gute Aussichten. Bislang waren noch keine Zeichen einer Einschränkung der Kreditvergabe oder gar einer Kreditklemme zwischen Banken und Nichtbanken in den USA oder in anderen Industrieländern zu erkennen. Wir werden insbesondere die Entwicklung der Kreditvergabe weiterhin aufmerksam beobachten. An ihr wird sich entscheiden, ob die US-Wirtschaft moderat weiter wächst oder doch noch in eine tiefe Rezession fällt.
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