Landgericht Dortmund, 3 O 123/14
Datum: 17.03.2015
Gericht: Landgericht Dortmund
Spruchkörper: 3. Zivilkammer
Entscheidungsart: Beschluss
Aktenzeichen: 3 O 123/14
Tenor:
Nach Auffassung des Gerichts ist das Widerrufsrecht der Klägerin nicht erloschen, weil die Widerrufsbelehrung des Darlehensvertrages vom 10.12.2003 allein wegen der Formulierung „frühestens“ nicht dem Deutlichkeitsgebot entsprach. Dies ist die ständige Rechtsprechung folgender BGH-Senate:
I ZR 66/08, Urteil vom 29.04.2010, Rn. 21,
III ZR 83/11, Urteil vom 01.03.2012, Rn. 15,
VIII ZR 82/10, Urteil vom 01.12.2010, Rn. 12,
VIII ZR 219/08, Urteil vom 09.12.2009, Rn. 12 ff.,
VIII ZR 103/10, Urteil vom 02.02.2011, Rn. 14,
XI ZR 349/10, Urteil vom 28.06.2011, Rn. 34.
Auf § 14 Abs. 1 und Abs. 3 BGB Info V kann sich die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht berufen. Voraussetzung dafür ist, dass die von ihr formulierte Widerrufsbelehrung in jeder Hinsicht, also sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung, vollständig dem damaligen Muster der Anlage 2 zu BGB Info V entspricht. Auch dies ist ständige Rechtsprechung des BGH:
III ZR 83/11, Urteil vom 01.03.2012, Rn. 16,
III ZR 252/11, Urteil vom 19.07.2012, Rn. 14,
VIII ZR 103/10, Urteil vom 02.02.2011, Rn. 21,
VIII ZR 82/10, Urteil vom 01.02.2010, Rn. 14 ff.,
XII ZR 349/10, Urteil vom 28.06.2011, Rn. 36 ff. (insbesondere Rn. 39).
Im vorliegenden Fall gibt es Abweichungen zum Muster sowohl hinsichtlich der Ziffern 1. und 2. als auch hinsichtlich des Klammerzusatzes und der Fußnote.
Das Gericht ist der Auffassung, dass das Widerrufsrecht der Klägerin nicht verwirkt ist, weil die Beklagte die Situation selbst durch eine falsche Widerrufsbelehrung herbeigeführt hat und die Nachbelehrung unterließ (ebenso BGH, IV ZR 76/11, Urteil vom 07.05.2014, Rn. 39 und OLG Hamm, 31 U 74/14 und 75/14).
Gemäß den damit für die Rückabwicklung des Darlehensvertrages maßgeblichen Vorschriften der §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346, 348 BGB ist dieser damit so zu behandeln, als ob er aufgrund des am 26.11.2013 wirksam gewordenen Widerrufs der Klägerin (K4, Blatt 10 dA) mit Wirkung für die Zukunft (BGHZ 180, 123 ff. = WM 2009, 932 ff. = juris Rn. 19; OLG Koblenz, NJW 2006, 919 ff. = juris Rn. 27 f. m.w.N.; Palandt/Grüneberg, 71. Aufl., § 357 Rn. 2; Nobbe/Maihold, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Auflage, § 357 BGB Rn. 1) in ein schuldrechtliches Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt worden wäre (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2013, 6 U 64/12, Rn. 32).
Es ist daher davon auszugehen, dass die primären Leistungspflichten der Parteien aus dem Darlehensvertrag - soweit bis zum Wirksamwerden des Widerrufs noch nicht erfüllt - an dem genannten Stichtag erloschen sind (BGHZ 178, 227 ff. = WM 2009, 35 ff. = juris Rn. 32; MükoBGB/Gaier, 6. Auflage, § 346 BGB Rn. 15 m.w.N.). Soweit zum Zeitpunkt des Widerrufs vertragliche Leistungen auf den Darlehensvertrag bereits erbracht waren, sind hingegen durch die Umwandlung des Schuldverhältnisses neue Primärpflichten der Parteien entstanden und diese sind nunmehr verpflichtet, einander die von ihnen in der Zeit seit Abschluss des ursprünglichen Vertrages jeweils empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die daraus in der Zwischenzeit von ihnen gezogenen Nutzungen herauszugeben (MüKoBGB/Gaier, a.a.O., § 346 BGB Rn 15 m.w.N.). Dabei stehen sich die beiderseitigen Ansprüche der Parteien gemäß den §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346, 348 BGB grundsätzlich selbstständig und miteinander nur durch eine Zug-um-Zug-Einrede verknüpft gegenüber, sind also nicht automatisch zu saldieren, sondern es ist vielmehr ggf. eine Aufrechnung erforderlich (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2013, 6 U 64/12, Rn. 33, Nobbe/Maihold, a.a.O., § 357 BGB Rn. 11), die durch den Klageabweisungsantrag der Beklagten konkludent erklärt worden ist. Nicht gemäß den §§ 357 Abs. 1, Satz 1, 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB zu verzinsen sind deshalb solche Ansprüche aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis, die aufgrund der erklärten Aufrechnung gemäß § 389 BGB mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt als erloschen gelten, in welchem sie erstmals zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber gestanden haben. Eine solche Aufrechnungslage hat im vorliegenden Fall erstmals am 26.11.2013 bestanden, weil erst mit dem Wirksamwerden des Widerrufs an diesem Tage die gegeneinander zur Aufrechnung gestellten Ansprüche aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis überhaupt entstanden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2013, 6 U 64/12, Rn. 41).
Gemäß den §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 1 Halbsatz 2 Alt. 1 BGB hat die Klägerin der Beklagten somit zunächst die an die Klägerin ausbezahlte Darlehensvaluta zu erstatten (BGH WM 2008, 683 f. = juris Rn. 14; Nobbe/Maihold, a.a.O., § 357 BGB Rn. 4-6, jeweils m.w.N.).
Außerdem schuldet die Klägerin der Beklagten nach Maßgabe von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB i.V.m. den §§ 346 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BGB die Verzinsung des ihr überlassenen Darlehenskapitals zu dem nach den Bedingungen des Darlehensvertrages vereinbarten Sollzinssatz (Nobbe/Maihold, a.a.O., § 357 BGB Rn 13), wobei der Klägerin allerdings gemäß § 346 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB der Nachweis offensteht, dass der marktübliche Zinssatz für ein vergleichbares Darlehen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geringer gewesen ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2013, 6 U 64/12, Rn. 35, MüKoBGB/Masuch, a.a.O., § 357 BGB Rn 33).
Die Beklagte ist auf der gleichen Rechtsgrundlage ihrerseits zur Rückerstattung aller von der Klägerin bereits erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (Einzelheiten Anlage K 11, Blatt 108 bis 124 dA) verpflichtet (BGHZ 180, 123 ff. = WM 2009, 932 ff. = juris Rn. 20, OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2013, 6 U 64/12, Rn. 34, Nobbe/Maihold, a.a.O., § 357 BGB Rn. 4)
Die Klägerin hat zudem Anspruch auf eine marktübliche Verzinsung der von ihr gezahlten, der Beklagten zur Nutzung zur Verfügung stehenden Zins- und Tilgungsraten (BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, Urteil vom 19.09.2006, XI ZR 242/05 Rn. 14). Dabei kann, da es sich hier um einen Realkredit handelt, entgegen der Ansicht der Klägerin nicht von einem Zinssatz von 5% über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ausgegangen werden (BGH, Urteile vom 18. Februar 1992 - XI ZR 134/91, WM 1992, 566, 567, vom 12. Mai 1998 - XI ZR 79/97, WM 1998, 1325, 1326 f. und vom 19.09.2006, XI ZR 242/05 Rn,14).
Der marktübliche Zins ist nicht identisch mit dem in der Zinsreihe SUD 118 dargestellten Zinssatz. Dabei handelt es sich um einen Durchschnittszinssatz für alle Wohnungsbaukredite mit einer Laufzeit von 5 bis 10 Jahren einschließlich Vorzugszinssätze für Mitarbeiter und Bauspardarlehen.
Marktüblich sind zweifelsfrei auch Kreditzinsen, die über dem Durchschnittszins liegen. Anhaltspunkt war bis 2003 die von der Bundesbank veröffentlichte Streubreite (dazu BGH XI ZR 422/01 Rn. 18 und BGH XI ZR 219/04 Rn. 50).
Es soll ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt werden zu der Behauptung der Klägerin,
der im Darlehensvertrag vom 10.12.2003 vereinbarte Zins i.H.v. 6 % (effektiv: 6,17 %) sei nicht marktüblich gewesen,
Bejahendenfalls:
welcher Höchstzins war am 10.12.2003 für das streitgegenständliche Darlehen noch marktüblich?
Wie hoch sind die wechselseitigen Ansprüche der Parteien nach Maßgabe der vorgenannten Kriterien? Maßgebend ist für den Nutzungsersatzanspruch der Klägerin immer der marktübliche Zins und für den Ersatzanspruch der Beklagten der Vertragszins, es sei denn der marktübliche Zinssatz für ein vergleichbares Darlehen ist zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geringer gewesen.
Mit der Erstattung des Gutachtens wird beauftragt:
Dipl.-Kfm, Dipl.-Vw I,
L-Straße
N
Die Beauftragung des Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Klägerin bis zum 30.04.2015 einen Auslagenvorschuss in Höhe von 3.000,00 € einzahlt.
Der Verkündungstermin vom 20. März 2015 wird aufgehoben.