Zitat von
eugh
Ist der Artikel von Klein auch schon bekannt? Hat den jemand?
BGH, Beschluss vom 22.09.2015 -XI NZR 116/15
Aus den Gründen
"[2] I. Soweit die Kl. das Berufungsurteil mit der Revision angreifen will, ist ihr Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren, weil das BerGer. die Revision nur zu Gunsten der Bekl., nicht auch zu Gunsten der Kl. zugelassen hat. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils, jedoch durch Auslegung der Urteilsgründe.
[3] Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann sich eine Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Urteilsgründen ergeben (Senat, NJW 2012, 2446 = WM 2012, 1211 Rn. 6). Auf Grund der gebotenen Auslegung der Urteilsgründe kommt deshalb eine Beschränkung der Zulassung der Revision auf einzelne Prozessparteien in Betracht, sofern Grund der Revisionszulassung eine bestimmte Rechtsfrage war, die das BerGer. zum Nachteil nur einer Prozesspartei entschieden hat. Die Zulassung wirkt in diesem Fall nicht zu Gunsten der gegnerischen Partei, die das Urteil aus einem anderen Grund angreift (Senat, NJW 2012, 2446; Beschl v. 23.4.2013 – XI ZR 42/12, BeckRS 2013, 08459 und Beschl. v. 25.6.2013 – XI ZR 110/12, BeckRS 2013, 11878 mwN).
[4] So liegt der Fall hier. Das BerGer. hat die Revision zugelassen, weil „die Frage, ob eine Verwirkung bei Verbraucherkreditverträgen mit Restschuldversicherung in Betracht“ komme, in denen die Widerrufsbelehrung vor Erlass des Senatsurteils vom 15.12.2009 (BGHZ 184, 1 = NJW 2010, 531) ohne Hinweis gem. § 358 V BGB in der maßgeblichen Fassung erteilt worden sei, „bislang höchstrichterlich nicht entschieden“ sei. Das BerGer. konnte die Zulassung der Revision zwar nicht auf diese unselbstständige Rechtsfrage zur Reichweite des Instituts der Verwirkung beschränken. Mit seiner Begründung der Zulassungsentscheidung hat es aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur der Bekl. die Gelegenheit zur Überprüfung seiner Entscheidung geben wollte, ob zwischen den Parteien auf Grund des Widerrufs der Kl. ein Rückgewährschuldverhältnis besteht. Die sich aus dem Rückgewährschuldverhältnis zu Lasten der Kl. ergebenden Rechtsfolgen hat das BerGer. dagegen nicht zur Überprüfung gestellt.
[5] II. Gleichfalls ohne Erfolgsaussichten ist die Rechtsverfolgung der Kl., soweit sie die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde bekämpft.
[6] Unbeschadet der Frage, ob die Möglichkeit zu bejahen wäre, eine nach § 26 Nr. 8 EGZPO zulässige Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben (vgl. BGHZ 179, 315 = NJW 2009, 1423 Rn. 11 aE), hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und erfordern die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des RevGer. nicht (§ 543 II 1 ZPO).
[7] Insbesondere sind die Rechtsfolgen höchstrichterlich geklärt, die nach Widerruf der auf Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung in Altfällen eintreten, in denen § 357 a BGB noch keine Anwendung findet. Der Senatsrechtsprechung (Senat, BGHZ 180, 123 = NJW 2009, 3572 Rn. 19 f.) lässt sich ohne Weiteres entnehmen, dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber gem. § 346 I Hs. 1 BGB Herausgabe der gesamten Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine (Teil-)Tilgung und gem. § 346 II 1 Nr. 1 und S. 2 BGB Herausgabe von Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta schuldet. Der Darlehensgeber schuldet dem Darlehensnehmer gem. § 346 I Hs. 1 BGB die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und gem. § 346 I Hs. 2 BGB die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen der (widerleglich) vermuteten Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (vgl. Senat, BGHZ 180, 123 = NJW 2009, 3572 Rn. 29). Soweit Darlehensgeber oder Darlehensnehmer gegenüber den gem. § 348 S. 1 BGB jeweils Zug um Zug zu erfüllenden Leistungen die Aufrechnung erklären, hat dies nicht zur Folge, dass der Anspruch des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber gem. § 346 I Hs. 2 BGB auf Herausgabe von Nutzungsersatz als nicht entstanden zu behandeln wäre.
[8] Dass diese Grundsätze in jüngerer Zeit von einzelnen Stimmen in der Literatur mit nicht überzeugenden Argumenten in Frage gestellt werden (vgl. Edelmann/Hölldampf, KSzW 2015, 148 [152 f.]; Hölldampf/Suchowerskyj, WM 2015, 999 [1001 ff.]; Müller/Fuchs, WM 2015, 1094 [1095, 1098 f.]; Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085 [1086 f.]; Schnauder, NJW 2015, 2689 [2691 f.]), verleiht der Rechtssache keine Grundsatzbedeutung (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1047 = WM 2010, 936 Rn. 3 und NJW-RR 2010, 978 = ZIP 2010, 1080 Rn. 3). Anlass zur Rechtsfortbildung besteht ebenfalls nicht. Schließlich verlangt die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ein Eingreifen des RevGer. nicht. Das BerGer. hat sich bei der Ermittlung der Rechtsfolgen des Widerrufs ersichtlich an den höchstrichterlichen Vorgaben orientieren wollen. Soweit es einen Anspruch der Bekl. nach § 346 I Hs. 2 BGB verneint hat, liegt dem lediglich ein einfacher Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall zu Grunde, der die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
[9] Von einer weiteren Begründung wird in entsprechender Anwendung des § 544 IV 2 Hs. 2 ZPO abgesehen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.9.2010 – IX ZA 5/10, BeckRS 2010, 22975)."
"Anmerkung
Der XI. Zivilsenat des BGH hat mit vorstehender Pkh-Entscheidung (dort Rn. 7 f.) die erstbeste Gelegenheit genutzt, um eine – nicht zuletzt in dieser Zeitschrift (Schnauder, NJW 2015, 2689) – aufgekommene Diskussion über die Rechtsfolgen des wirksamen Widerrufs einer auf Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Erklärung im Keim zu ersticken.
Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund der zahllosen Verfahren wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen in Verbraucherdarlehensverträgen von erheblicher praktischer Bedeutung. Im Ergebnis kann der Darlehensnehmer neben der Loslösung von einem zu früherer Zeit zu einem höheren Zins geschlossenen Vertrag ohne Entrichtung der Vorfälligkeitsentschädigung auf einen (weiteren) Zinsvorteil im Rahmen der Rückabwicklung der beiderseits erbrachten Leistungen hoffen. Durch den wirksamen Widerruf wandelt sich der Darlehensvertrag in den hier typischerweise gegebenen Altfällen vor Inkrafttreten des § 357 a BGB in ein Rückabwicklungsverhältnis nach Rücktrittsregeln um (§ 357 I 1 BGB aF, § 346 BGB). Damit sind die Parteien einander verpflichtet, empfangene Leistungen zurück- und gezogene Nutzungen herauszugeben bzw. Wertersatz zu leisten (§ 346 I, II BGB).
Die wechselseitigen Verpflichtungen werden, wie der Senat nebenbei klar macht (Rn. 7; zum Streitstand Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb. 2012, § 348 Rn. 2), nach § 348 BGB nicht automatisch saldiert, sondern stehen sich grundsätzlich selbstständig gegenüber, wobei es freilich regelmäßig zu einer zumindest konkludenten Aufrechnung kommen dürfte. Der Darlehensgeber kann somit vom Darlehensnehmer Rückzahlung der gesamten Valuta (ohne Abzug von Tilgungsleistungen) verlangen zuzüglich Zinsen auf den jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil. Der Zinssatz entspricht regelmäßig dem vertraglich vereinbarten Sollzins (§ 346 II 2 Hs. 1 BGB). Dem Darlehensnehmer bleibt es aber nach § 346 II 2 Hs. 2 BGB (soweit anwendbar, vgl. § 495 II 1 Nr. 3 Hs. 2 BGB aF) gegebenenfalls unbenommen, durch Nachweis eines niedrigeren Marktzinses einen geringeren Gebrauchsvorteil zu beweisen.
Nicht geäußert hat sich der BGH in diesem Zusammenhang zu der (richtigerweise wohl zu verneinenden) Frage, ob die nach Abschluss des Vertrags eingetretene allgemeine Zinsentwicklung im Rahmen dieser Beweisführung dynamisch zu berücksichtigen ist (hierzu Piekenbrock/Rodi, WM 2015, 1085 [1089 ff.]). Im Gegenzug, und dies ist die über den Fall hinausgehende eigentliche Botschaft der Entscheidung, kann der Darlehensnehmer – entgegen den in dem Beschluss (Rn. 8) aufgeführten jüngeren Literaturansichten – vom Darlehensgeber die Herausgabe sämtlicher Zins- und Tilgungsleistungen sowie Ersatz der hieraus gezogenen Nutzungen, mithin Zinsen auf beides bis zum Wirksamwerden des Widerrufs verlangen.
Durch Verweis auf sein Urteil vom 10.3.2009 (BGHZ 180, 123 = NJW 2009, 3572 = NZM 2009, 918 Rn. 29) stellt der Senat zudem klar (Rn. 7), dass die von ihm seinerzeit aufgestellte – für beide Seiten widerlegliche – tatsächliche Vermutung, dass Banken Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ziehen, auch in dem seither geänderten Marktumfeld weiterhin Geltung beansprucht. Unter dem Strich führt die – in der Konsequenz eines Pkh-Beschlusses ausschließlich selbstreferenziell begründete – Entscheidung zwar nicht argumentativ, aber doch faktisch zur Klärung einer praktisch relevanten Streitfrage. Der Welle an Widerrufsverfahren wird sie weiteren Auftrieb geben, insbesondere angesichts der heftig umstrittenen Verwirkungsproblematik und des Umstands, dass der Zinsgewinn umso größer sein dürfte, je länger das Darlehen vor Erklärung des Widerrufs bereits getilgt ist.
Es bleibt abzuwarten, ob die derzeit rechtspolitisch diskutierte Sunset-Klausel nach dem Beispiel der Erlöschensregelungen des Art. 229 § 32 II–IV EGBGB (BR-Drs. 359/1/15, 2; FAZ v. 8.10.2015) diese Welle kurzfristig weiter aufbauen wird, um sie dann mittelfristig zu brechen.
Richter am OLG Dr. Oliver Klein, Karlsruhe"